Sechs Tage vor der Wahl stellten sich sechs Kandidat*innen für den Landtag Baden-Württemberg, aus dem Wahlkreis 26 (Aalen) nicht nur dem pechakucha-Format von 20X20 – 20 Bilder in 20 Sekunden, sondern natürlich auch dem Publikum. Dieses Mal online via Zoom und YouTube. Die Veranstaltung war eine Kooperation der Volkshochschule Aalen, der Partnerschaft für Demokratie und der Pechakucha-night Aalen. Es moderierten Gerburg Maria Müller und Thomas Maile.

 

Sechs mutige Politiker trauten sich in den Ring und präsentierten ihre Ideen und politische Agenda. Bei den Grünen ist der Klimaschutz Programm und auch der Artenschutz steht ganz oben auf der Agenda. Kandidat für die Grünen, Michael Asbrock machte auf die unsichtbare Krise das Artensterben aufmerksam. Rund 40 Prozent aller Arten in Baden-Württemberg seien gefährdet, dabei bezog er sich auf die Daten des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Limits seien bereits massiv überschritten, mahnte Asbrock. Wichtig: Man wolle auch in Zukunft eine erfolgreiche Wirtschaft und mit ökologischem Sachverstand und ökonomischer Expertise werde man die Transformation der Wirtschaft begleiten. Dabei liege der Fokus auf der Entwicklung marktfähiger Produkte, man wolle neue Technologien und Geschäftsmodelle anschieben, Motor dafür könne eine Landesagentur für Startups sein.

 

Auf Neues aus dem Wahlprogramm der AfD wartete der Zuhörer allerdings vergeblich, was Jan Czada hingegen lieferte, waren Beschuldungen und einen weiteren Beweis für seine Faktenresistenz. So behauptete er in seinem Vortrag zum Beispiel, dass es in Schweden zu keiner Katastrophe gekommen sei, obwohl es keinen Lockdown während der Corona-Pandemie gegeben habe. Und er forderte eine schnelle Aufhebung. Doch nicht nur diese Aussage sorgte für Unmut unter den Teilnehmern dieser Pecha-Kucha, den sie mit diversen Kommentaren kundtaten. Das es in Schweden keine Beschränkungen gab, sei schlichtweg falsch. Nur waren die Maßnahmen andere. Sie setzten mehr auf Freiheit und dafür bezahlten die Schweden einen hohen Preis. Im Verhältnis zu Deutschland starben in Schweden 2,5 Mal so viele Menschen an oder mit COVID. Weiter forderte Czada zwar Technologieoffenheit statt Verbote, doch das Rezept dafür lieferte zuvor bereits Asbrock, mit der neuen Agentur und den entsprechenden Fördermaßnahmen. Wichtig war es ihm auch zu betonen, dass man die Massenmigration abstellen wolle, denn die sei nichts anderes als eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme und meist bestünde kein Asylgrund. Er hob hervor, dass die Weltprobleme in Deutschland nicht lösbar seien. Aus Sicht der AfD seien viele Asylanten nur schwer integrierbar. Um das hervorzuheben, bediente er sich während seiner Präsentation auch einer entsprechenden Bildsprache: Ein Foto zeigte einen vermeintlichen Araber mit einem Palästinensertuch auf dem Kopf und einem Schild in der Hand, auf dem stand: „Zur Hölle mit der Freiheit“. Eine weitere verbale Ohrfeige gab es für die nicht Leistungsträger. Die AfD vertritt die Meinung, die Bildungsmisere sei der Gleichmacherei durch die Gemeinschaftsschulen und der Inklusion geschuldet. Nach seinem Vortrag waren die Sündenböcke klar definiert und viele Beschuldigungen ausgesprochen.

 

Versöhnlicher wurde es hingegen mit dem Vortragsredner Winfried Mack, CDU. Für ihn beginne Politik in der Heimat. Wenn nach Corona viele Chancen neu verteilt werden, komme es darauf an, dass die Ostalb vorn dabei ist. Teamarbeit sei ein Faktor für den Erfolg. Darauf folgte eine spannende Darstellung über seine Familiengeschichte, die zeigte, wie tief der demokratische Gedanke in ihm verwurzelt ist. Schon früh habe er gelernt: „Kurs halten auch in rauer See“. Baden-Württemberg bezeichnete Mack als Innovationslabor Europas, Ostwürttemberg sei der Leuchtturm. Es seien die Forscher aus dieser Gegend, die geniale Lösungen auf den Markt bringen. Die Politik sieht er in der Pflicht, die Rahmenbedingungen so zu setzten, dass diese Lösungen helfen, die Welt zu verbessern. Auch seinen Kindern versuche er zu vermitteln, auf welchen Grundlagen ein friedliches, freiheitliches und demokratisches Land basiert. Denn die Barbaren, so Mack, kommen schneller zurück, als man glaubt. Der Sturm auf das Kapitol habe gezeigt, dass auch eine gefestigte Demokratie Sicherungsmechanismen baucht. Und auch bei uns würden die unsicheren Zeiten besondre Gestalten hervorbringen, denen man die Demokratie und das Land nicht anvertrauen könne. Und er verwies auf die AfD. Diese Kräfte würden nicht etwa das Leben der Menschen verbessern, sondern spalten. Mack wirbt in seinem Vortrag für eine Politik des Ausgleichs, für Maß und Mitte.

 

Kandidatin Dr. Carola Merk-Rudolph, SPD, sammelte bereits im Gemeinderat sowie im Kreistag politische Erfahrung. In ihrem Vortrag stellte sie ihre „Big Five“ vor: Arbeit sichern, Transformation nachhaltig und gerecht gestalten, gute und kostenfreie Bildung, ökologische und soziale Mobilität und Klimaschutz, Gesundheit und Pflege, den Menschen in den Mittelpunkt stellen und bezahlbaren Wohnraum für alle. Auch die SPD wolle eine Landesinnovationsagentur gründen. Auch kämpfe man entschieden gegen die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Mit der SPD sei Bildung kostenfrei und doch qualitativ hochwertig für alle. Auch wolle man die Kitagebühren abschaffen, das gleiche gelte für Studien und Meistergebühren, wie das finanziert werden soll, ließ die Kandidatin jedoch offen. ÖPNV müsse attraktiver und billiger sein. Wohnen soll mit der SPD günstiger werden, indem die Partei eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft gründet. Familien wolle man dadurch entlasten, dass sie beim ersten Grundstückserwerb nur die Hälfte der Grunderwerbssteuer bezahlen. Merk-Rudolph betonte auch, dass eine Partei wie die AfD, in der es rassistische und menschenverachtende Tendenzen gibt, nicht unser Land symbolisiere. Jede Stimme für eine demokratische Partei sei eine Stimme gegen die AfD.

 

Auch Justin Niebius, Die Linke war mit an Bord. Mit seinen 20 Jahren war er an diesem Abend der Jüngste im Bunde, aktuelle studiert er Lehramt an der Uni in Tübingen. Er vertritt die Meinung, dass wir eine Verjüngung der Politik brauchen. Er macht sich stark für die Digitalisierung der Schulen und prangert an, dass man in der Coronaschulpolitik konzeptlos umher irre. Auch Die Linke fordertet gebührenfreie Kitas, denn Lernen beginne bereits im Kleinkindalter. Er betonte, dass auch Die Linke eine Ahnung von Wirtschaft haben dürfe. Unser Land habe sich bereits schon vor Corona am Anfang einer Rezession befunden. Man wolle eine sozial-ökologische Transformation gemeinsam mit den Beschäftigten vorantreiben. Wirtschaftsförderung solle mehr an sozial-ökologischen Kriterien ausgerichtet werden. Es gelte die Tarifbindungen der Betriebe zu stärken, der Mindestlohn müsse auf mindestens 13 Euro erhöht werden und auch die Leiharbeit müsse endlich aus den Betrieben verbannt werden. Durch Corona sei auch die Behandlung der Pflegekräfte in den Mittelpunkt gerückt. 156 Jahre müsse eine Pflegekraft in Deutschland arbeiten, um auf den Jahresgehalt eines Daxvorstandchefs zu kommen. Und das habe für ihn wenig mit der Leistungsgerechtigkeit zu tun. Wettbewerbslogik und Privatisierung hätten in unserem Gesundheitssystem nichts zu suchen. Die Linke fordere eine Wohnbauoffensive, die ihren Namen auch verdiene. ÖNPV müsse ausgebaut werden, Kostenfreiheit sei das langfristige Ziel. Auch für Niebius war es wichtig, die Demokratie anzusprechen, denn seit dem Einzug einer gewissen Partei in den Landtag sowie den Bundestag stehe sie permanent unter Druck. Die Linke wolle mehr Demokratie ermöglichen und fordere neben einem neuen Landtagswahlgesetz, ausgearbeitet durch einen Bürgerrat sowie eine Wahlalterabsenkung auf 16. Die Linke arbeite eng mit den Gewerkschaften zusammen in Bündnissen und stelle sich immer wieder auf die Seite derer, die zu wenig von der Politik wahrgenommen werden.

 

Alphabetisches Schlusslicht war an diesem Abend Manuel Reiger von der FDP. Seine Vorbilder Barack Obama, Justin Trudeau und Emmanuel Macron. Den Liberalismus bezeichnet Reiger als weltweite politische Erfolgsgeschichte. Für Reiger ist Baden-Württemberg ein digitales Entwicklungsland, darum wolle man den Ausbau von Glasfaser und 5G beschleunigen. Auch die Verwaltungsbehörden wolle man in die digitale Zukunft bringen, damit die Krisen in Zukunft besser bewältigt werden können. Die Ostalb werde gern als Raum der Talente und Patente bezeichnet, Firmen wie Zeiss, Varta und viele andere melden hier mehr Patente an als im Großraum München. „Ich will, dass wir die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass Innovationen nicht nur bei uns entwickelt werden, sondern auch hier umgesetzt werden.“ Die FDP wolle die Unternehmerkultur im Ländle wieder mehr fördern. Unternehmensgründungen oder Nachfolgen müsse man erleichtern, meint Reiger. Dafür wolle man konsequent Bürokratie abbauen und eine vernünftige Steuerpolitik machen. Auch die FDP fordert die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung, auch wolle man das mehrgliedrige Schulsystem erhalten. „Für jeden Schüler die richtige Schule und nicht für alle die gleiche“, so Reiger. Der Kandidat fordert eine leistungsfähige Justiz und eben auch dort eine gute digitale und personelle Ausstattung. Manuel Reiger ist 37 Jahre alt, von Beruf Rechtsanwalt, in den vergangenen Jahren war er mit in einem der größten Strafverfahren des Landes tätig, dem NSU-Prozess. Er habe das Rüstzeug für die Ostalb, ein Anwalt im Landtag zu sein.

 

Im Anschluss an die Vorträge durften die Teilnehmer den Kandidaten Fragen stellen. Die erste Frage aus der Zuhörerschaft wurde zum Thema Tariftreue und Mindestlohngesetz gestellt. Die Kandidaten waren aufgefordert, die jeweiligen Fragen zu beantworten. Die Grünen setzten sich für eine Erhöhung des Mindestlohns ein, die AfD steht dem Mindestlohn allerdings kritisch gegenüber. Er sollte nicht zu hoch sein, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Winfried Mack hingegen betrachtet den Mindestlohn mittlerweile als Gemeingut. Er betrachte es als sinnvolles Instrument der sozialen Marktwirtschaft. „Zu guter Arbeit gehören faire Löhne, Sicherheit und Schutz. Wir kämpfen für einen Mindestlohn von 12,47 Euro“, so Dr. Carola Merk-Rudolph, SPD. Für Niebius von den Linken wäre die Aufgabe des Tariftreue- und Mindestlohngesetzes fatal. Denn damit ginge dann meist eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen einher. Wenn Mindestlöhne nicht bezahlt werden, landen die Menschen in Altersarmut. Die FDP plädiert hingegen für die Abschaffung.

 

Die Frage von Leon Barth, welche Bahnstrecken in der Region schnellstmöglich ausgebaut sollen, ging direkt an Winfried Mack. Auch das Thema Pflege wurde angesprochen. In der Coronakrise habe sich gezeigt, wer die Retter in der Not sind: die pflegenden Berufe, so ein Teilnehmer. Der wissen wollte, welche Maßnahmen die Politik ergreifen will, um diese Berufe zu retten und aufzuwerten? Klimawandel spielte in der Fragerunde ebenso eine große Rolle. Die Stimmen der Zuschauer und Teilnehmer sprachen eine klare Sprache, sie warfen immer wieder während der Veranstaltung ihr Unverständnis zur Haltung der AfD in Form von Kommentaren ein. So kommentierte ein Zuschauer: „Die blaubraune Partei kann erneut nicht versetzt werden.“ Er attestierte ihnen eine Faktenresistenz, die sich durch Verleugnen, Verdrängen und Verharmlosen zeige. Und er betonte, dass Deutschland seine, wenn auch kleinen Ziele sehr wohl erreicht habe. Ein Faktencheck wurde gefordert. „Sie wollen das Atomkraftwerke weiter betrieben werden. Würden Sie auch ein Atommüllendlager in Ostwürttemberg mit tragen, was durchaus in Betracht gezogen werden müsse?“, fragte Gottstein den Kandidaten der AfD. Czada betonte, dass man in der Partei eben nicht die Weltuntergangsstimmung teile und auch ja zur Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke sage. Daraufhin gab es Schelte von Ingrid Gottstein, Czada habe die Frage zur Atomkraft nicht ausreichend beantwortet. Sie wies auf die Problematik mit dem Block A des Atomkraftwerks in Gundremmingen hin, der, wie sie betonte, kurz vor einem Gau stand und bis heute wisse keiner, wie diese Atomruine zurückgebaut werden könne. Für Helmut Gentner war es wichtig, auf eine wesentliche Stütze während der Corona-Krise hinzuweisen: das Ehrenamt. Und wollte wissen, wie man hier auch steuerliche Vorteile und Anreize schaffen könne. Alle Parteien lieferten Antworten, auch der Kandidat der AfD allerdings war seine Sprache sehr deutlich: Das Ehrenamt trage den Namen ja nicht umsonst. Ehre sei die Währung. Auffallend bei allen Debatten ist nach wie vor, dass das Thema Demokratie immer wieder aufkommt. Das, was man sich gegenseitig abspricht, ist jeweils das demokratisch sein. Der Ausdruck allein schon war während der Pecha-Kucha hochfrequent. Doch wer darf als Antidemokrat bezeichnet werden? Auf jeden Fall derjenige, der demokratische Regeln missachtet. Rassismus wäre da nur ein Punkt von vielen und der ist nicht verhandelbar, dagegen muss man agieren, das schreibt das Grundgesetz vor. Und das bringt die Altparteien in Bekenntniszwang.

 

 

 

 

 

 

 

 

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